Zwiespalt der Erblasser
Die Mehrheit der Deutschen hat kein Testament.
Mögliche Gründe dafür erläutert der Diplom-Soziologe Dr. Frank Lettke, Leiter des Forschungsbereichs "Gesellschaft und Familie" an der Universität Konstanz.
Gibt es psychologische Barrieren, die eine Nachlassregelung verhindern?
Dr. Lettke: Ein Testament zu machen, bedeutet, sich mit dem Gedanken an den eigenen Tod auseinanderzusetzen. Davor schrecken viele Menschen verständlicherweise zurück. Zudem ist es oft schwierig zu entscheiden, wer was erben soll. Denn Erbschaften werden häufig als Zeichen für die Qualität einer Beziehung gesehen. Erblasser müssen also ihre Gefühle für verschiedene Menschen "bilanzieren" und in Erbquoten ausdrücken - doch dazu fühlen sich viele nicht in der Lage.
Statt Gefühle in Prozentzahlen festzulegen, ließe sich der Nachlass doch auch zu gleichen Teilen unter den Erben aufteilen.
Dr. Lettke: Bei dieser Frage befinden sich Erblasser oft im Zwiespalt: Sie möchten zwar alle gleich behandeln, aber gleichzeitig jedem individuell gerecht werden. Zum Beispiel ist die Beziehung zu den Erben möglicherweise unterschiedlich eng oder der eine Erbe braucht dringender Geld als der andere. Dieses Dilemma lässt sich kaum lösen. Deswegen setzen viele Menschen gar kein Testament auf.
Ohne Testament jedoch....
Dr. Lettke: ... wird die Auseinandersetzung um das Erbe zu einem Problem der Hinterbliebenen. Aufgrund ihrer individuellen Erfahrungen interpretieren die Erben Aussagen des Verstorbenen oft unterschiedlich. Das birgt Potenzial für Konflikte - beispielsweise, wenn zwei Erben dasselbe Erinnerungsstück haben möchten. Außerdem verändert der Tod eines Menschen die Beziehungen innerhalb einer Familie. So können nach dem Tod der Eltern zum Beispiel Geschwisterrivalitäten auflodern, die zu Lebzeiten von Vater und Mutter nur geschwelt haben. Konflikte um das Erbe führen zum Teil sogar dazu, dass die Mitglieder einer Familie die Beziehungen zueinander komplett abbrechen.
Können solche Streitigkeiten mit einem Testament verhindert werden ?
Dr. Lettke: Eine Regelung des Nachlasses ist keine Garantie für die harmonische Aufteilung des Vermögens. Aus Angst vor möglichen Konflikten halten diejenigen, die ein Testament aufgesetzt haben, es daher häufig geheim: Die Hälfte der Erblasser informiert die künftigen Erben nicht über ihren letzten Willen. Dabei ist es in vielen Fällen sinnvoll zu klären, aus welchem Grund man wem was vererben möchte. So lassen sich eventuelle Unstimmigkeiten zwischen den Erben oft bereits im Vorfeld vermeiden. Eine Aussprache zu Lebzeiten ist auch deshalb empfehlenswert, weil Kinder häufig gar nicht genau wissen, was an Vermögen vorhanden ist. Grundsätzlich gilt: Ein Patentrezept für die perfekte Nachlassregelung gibt es leider nicht. Dafür ist das Leben zu komplex. Doch mit einem Testament, das die individuelle Situation berücksichtigt, kommt es normalerweise seltener zu Streit - und es kann eine rechtlich einwandfreie Regelung des Nachlasses sichern.
(Aus: märkte+trends 2/2006)